Composable CDPs: Revolution oder Hype im Kundendaten-Management?
on 21.11.2024 by Ronny Wilke
Composable Customer Data Plattformen (CDPs) haben in der Marketing- und Technologiewelt in jüngster Zeit für einige Aufmerksamkeit gesorgt.
Sie versprechen eine flexible, modulare Herangehensweise an das Kundendaten-Management. Unternehmen sollen dadurch in die Lage versetzt werden, ihre Datenarchitektur mit möglichst wenigen Redundanzen zu modernisieren. Doch ist dies mehr als nur ein weiterer Modebegriff, der altbewährte Konzepte in neuem Glanz erscheinen lassen soll?
Der folgende Artikel gibt einen Überblick über die Funktionsweise von Composable CDPs und beleuchtet die Unterschiede zu herkömmlichen CDPs.
Herkömmliche CDPs?
Der Begriff „herkömmliche CDPs“ wirft die berechtigte Frage auf: Was genau ist daran „herkömmlich“? Um dies zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf die Entstehungsgeschichte dieser Plattformen und auf die Herausforderungen, die sie zu lösen versprachen.
Ursprung und Entwicklung
Kundendaten sind so alt wie Geschäftsmodelle selbst und existierten lange vor der Einführung von CDPs. Sie waren jedoch üblicherweise über verschiedene Systeme wie CRM, Marketing Automation und E-Commerce-Plattformen verteilt. Mit fortschreitender Digitalisierung haben Unternehmen zunehmend die Möglichkeit genutzt, diese isolierten Datenquellen zusammenzuführen, um Synergien zu erschließen und ein ganzheitliches Bild über die Nutzerschaft zu gewinnen. Dies war ein treibender Faktor für die Entwicklung der ersten CDPs Anfang der 2010er Jahre.
Die ersten CDPs versprachen eine zentrale Datenbasis, die es Unternehmen ermöglichen sollte:
- Kundenverhalten über verschiedene Kanäle hinweg besser zu verstehen
- Eine einheitliche Sicht auf die relevante Zielgruppe zu erhalten (oft auch als „Golden Record“, “Single Point of Truth” oder “360-Grad-Sicht” bezeichnet)
- Datenbasierte Entscheidungen in Echtzeit zu treffen
- Die Problematik isolierter Datensilos zu überwinden
Weiterentwicklung der Anforderungen
Mit der Zeit haben sich die Anforderungen an CDPs weiterentwickelt:
- Flexibilität: Unternehmen erwarten nicht nur eine zentrale Datensammlung, sondern auch reaktionsschnelle, flexible Systeme.
- Skalierbarkeit: Mit dem exponentiellen Wachstum von Datenmengen müssen CDPs in der Lage sein, enorme Datenvolumina zu verarbeiten.
- Integration: CDPs sollen sich nahtlos in bestehende Technologie-Stacks integrieren lassen.
- Datenschutz und Compliance: Mit Einführung von Regularien wie der DSGVO ist es erforderlich, dass CDPs strengere Datenschutzanforderungen erfüllen.
Grenzen herkömmlicher CDPs
Trotz ihrer Vorteile können herkömmliche CDPs bei der Integration in moderne, agile Technologieumgebungen an ihre Grenzen stoßen:
- Mangelnde Flexibilität bei der Anpassung an spezifische Unternehmensanforderungen
- Schwierigkeiten bei der nahtlosen Integration mit bestehenden Systemen
- Potentielle Schaffung neuer Datensilos
Was machen Composable CDPs jetzt anders? Kurzer Exkurs zum Modern Data Stack
Mit dem Aufstieg von Cloud-Computing und erschwinglichen Datenspeicherlösungen haben sich für Unternehmen revolutionäre Möglichkeiten im Datenmanagement eröffnet. Diese technologischen Fortschritte haben den Weg für den sogenannten „Modern Data Stack“ geebnet – ein Konzept, das die Art und Weise, wie Unternehmen Daten sammeln, speichern, analysieren und aktivieren, grundlegend verändert hat.
Der Modern Data Stack ermöglicht es Unternehmen, auf ein breites Ökosystem von spezialisierten Lösungen zuzugreifen. Statt in teure, monolithische Systeme zu investieren, können Unternehmen nun modulare, cloud-basierte Tools kombinieren, die auf ihre individuellen Bedürfnisse zugeschnitten sind. Diese Entwicklung hat die Datenverarbeitung nicht nur vereinfacht, sondern auch erheblich effizienter und skalierbarer gestaltet.
Ein zentraler Bestandteil des Modern Data Stack sind Cloud-Data-Warehouses wie Snowflake, Google BigQuery oder Amazon Redshift. Diese bilden das Fundament für fortschrittliche Datenanalysen und ermöglichen es Unternehmen, große Datenmengen kostengünstig zu speichern und zu verarbeiten. Darauf aufbauend können verschiedene Datenintegrations-, Transformations- und Visualisierungstools nahtlos integriert werden.
Allerdings sind die großen Cloud-Anbieter wie AWS, GCP oder Azure nicht für jedes Unternehmen die beste Lösung. Es gibt Beispiele von Unternehmen, die alternative Wege gegangen sind:
- 37signals, bekannt für Basecamp und HEY, berichtete über Einsparungen von rund 2 Millionen Dollar durch den Umzug auf eigene Server. (siehe Eigene Server statt AWS auf Heise)
- Das deutsche Unternehmen everysize.com wechselte von AWS und GCP zu Hetzner, einem in Deutschland ansässigen Rechenzentrum, und senkte dadurch seine Kosten von 50.000 auf 10.000 Euro.
Es gibt also praktikable Alternativen zu den drei großen Cloud-Anbietern, die je nach Anforderungen und Skalierungsbedarf in Betracht gezogen werden können. Unternehmen sollten ihre Optionen prüfen und hybride oder Multi-Cloud-Strategien in Erwägung ziehen, um die Vorteile verschiedener Anbieter zu nutzen und die Kosten zu optimieren.
Diese Entwicklungen im Bereich des Modern Data Stack bilden den Kontext, in dem Composable CDPs entstanden sind und ihr volles Potential entfalten können.
Kernfunktionen und Integration
Im Wesentlichen teilen Composable CDPs das grundlegende Ziel herkömmlicher CDPs: die Sammlung, Verarbeitung und Aktivierung von Daten aus diversen Quellen. Der entscheidende Unterschied liegt jedoch in ihrer Architektur und Integrationsweise:
- Modularer Aufbau: Composable CDPs zeichnen sich durch ihre hohe Modularität und Flexibilität aus. Unternehmen können spezifische Komponenten auswählen und kombinieren, um ihre individuellen Anforderungen zu erfüllen.
- Nahtlose Integration: Diese Plattformen lassen sich problemlos in bestehende Daten-Infrastrukturen einbinden. Ihr modularer Ansatz ermöglicht eine bessere Anpassung an die vorhandene Unternehmenstechnologie.
- Zero Data Copy: Ein Schlüsselprinzip der Composable CDPs ist die Vermeidung redundanter Datenkopien. Stattdessen wird eine zentrale Datenverwaltung ermöglicht, die effizienter und ressourcenschonender ist.
Datenerhebung und -integration: Ein neuer Ansatz
Ein wesentlicher Vorteil von Composable CDPs liegt in ihrer Flexibilität bei der Datenintegration.
Während sowohl herkömmliche als auch Composable CDPs Daten aus diversen Quellen integrieren, besteht ein fundamentaler Unterschied in der Art und Weise, wie diese Daten verwaltet werden:
- Traditionelle CDPs arbeiten mit einer isolierten, eigenen Datenbasis.
- Composable CDPs hingegen bauen auf bestehenden Data Warehouses (DWH) auf – man spricht hier auch von ‘warehouse-native’.
Eine Besonderheit der Composable CDPs ist, dass sie keine starren Datenschemata eines Anbieters voraussetzen, sondern sich problemlos an die bestehenden Datenstrukturen des Unternehmens anpassen lassen.
Das bedeutet, dass die Rohdaten zunächst untransformiert in das Data Warehouse geladen werden können und die Transformation flexibel und bedarfsgerecht nachgelagert erfolgt – je nachdem, wofür die Daten genutzt werden sollen. Dieser entkoppelte Ansatz bietet Unternehmen nicht nur einen schnelleren Zugriff auf ihre Daten, sondern auch die Freiheit, Daten genau so zu transformieren, dass sie für analytische oder operative Zwecke optimal genutzt werden können. Dadurch können Datenintegrations- und -transformationsprozesse individuell auf die spezifischen Anforderungen des Unternehmens zugeschnitten werden.
Dieser Ansatz kann zwar die Implementierung beschleunigen, bringt jedoch gleichzeitig eine höhere technische Komplexität mit sich.
Event-Erfassung von Verhaltensdaten
Ein weiterer Aspekt der Datenerhebung in Composable CDPs ist die Erfassung von Verhaltensdaten in Echtzeit. Hierfür gibt es verschiedene Ansätze:
- Spezialisierte Composable CDP-Lösungen: Einige Anbieter von Composable CDPs bieten eigene Event-Tracking-Funktionalitäten und SDKs an, die nahtlos in die bestehende Daten-Infrastruktur integriert werden können.
- Integration von Drittanbieter-Tools: Unternehmen können spezialisierte Event-Erfassungstools wie Snowplow oder Fivetran in ihre Composable CDP-Architektur einbinden. Diese Tools sind darauf ausgelegt, Verhaltensdaten von Websites, mobilen Apps und anderen digitalen Touchpoints zu sammeln und in Echtzeit zu verarbeiten.
Die Wahl des richtigen Ansatzes hängt von den spezifischen Anforderungen des Unternehmens, der bestehenden Technologie-Infrastruktur und den gewünschten Use Cases ab.
Datenaktivierung: Reverse ETL als Game-Changer
Ein entscheidendes Feature von Composable CDPs ist die Fähigkeit, Daten, die im DWH gespeichert sind, in Echtzeit zu aktivieren und in verschiedene operative Systeme zu übertragen – ein Prozess, der als Reverse ETL (Extract-Transform-Load) bezeichnet wird.
Dieser Ansatz bietet mehrere Vorteile in der Kundendaten-Aktivierung:
- Effiziente Nutzung bestehender Daten-Infrastrukturen: Unternehmen können bereits vorhandene DWHs optimal nutzen, ohne redundante Datenbanken aufzubauen.
- Echtzeit-Aktivierung: Kundendaten können schneller in relevante Systeme (z. B. CEP, CRM, Marketing Automation Tools) eingespeist werden, um unmittelbar für personalisierte Kampagnen oder Analysen zur Verfügung zu stehen.
- Vermeidung zusätzlicher Datensilos: Durch die direkte Nutzung des DWH entfällt die Notwendigkeit, mehrere isolierte Datenspeicher zu pflegen.
Composable CDP ≠ Composable CDP
Nicht alle Composable CDPs sind gleich. Unter dem Dach des Composable-Ansatzes bieten die Plattformen eine Vielfalt in ihrer Funktionalität.
- Einige Composable CDPs verfügen über eigene Event-Verarbeitungssysteme, die es ermöglichen, Daten direkt zu erheben und zu analysieren.
- Andere hingegen konzentrieren sich ausschließlich auf die Datenaktivierung mittels Reverse ETL und überlassen die Datenerhebung und -integration spezialisierten Drittanbietern.
Diese Vielseitigkeit macht den Begriff „composable“ aber auch komplexer, da nicht jedes System das Gleiche leistet.
Herausforderungen / Die Schattenseite der Flexibilität
Während Composable CDPs Vorteile in Bezug auf Flexibilität und Anpassungsfähigkeit bieten können, ist es wichtig, auch die Herausforderungen zu betrachten.
- Erhöhte technische Komplexität
Die modulare Natur von Composable CDPs erfordert ein tiefgreifendes Verständnis verschiedener Technologien und deren Zusammenspiel. Unternehmen müssen nicht nur einzelne Tools beherrschen, sondern auch deren Integration und Orchestrierung managen. Dies kann zu einem deutlich höheren Bedarf an technischem Know-how führen und die Abhängigkeit von spezialisierten IT-Fachkräften verstärken. - Herausforderungen bei der Integration
Die Verknüpfung verschiedener Tools und Systeme kann zu Kompatibilitätsproblemen und Daten-Inkonsistenzen führen. Die nahtlose Integration aller Komponenten erfordert sorgfältige Planung und kontinuierliche Wartung, was Zeit und Ressourcen bindet. - Erhöhter Verwaltungsaufwand
Mit der Anzahl der eingesetzten Tools steigt auch der Verwaltungsaufwand. Jede Komponente muss separat gewartet, aktualisiert und überwacht werden. Dies kann zu einer Fragmentierung der Verantwortlichkeiten führen und die Gesamteffizienz des Systems beeinträchtigen. - Kostenaspekte
Obwohl Composable CDPs oft als kostengünstige Alternative präsentiert werden, können die Gesamtkosten durch die Notwendigkeit spezialisierter Fachkräfte, zusätzlicher Integrationsarbeit und möglicherweise höherer Infrastrukturkosten steigen. Besonders erwähnenswert sind hier die versteckten Warehouse-Kosten, die gerade bei komplexeren Segmentierungsansätzen nicht außer Acht gelassen werden sollten. (siehe CDP 2.0: Why Zero Waste Is Now von mParticle)
Eine sorgfältige Abwägung zwischen den Vorteilen der Flexibilität und den Herausforderungen der Komplexität ist entscheidend. Für viele Organisationen, insbesondere solche mit begrenzten technischen Ressourcen, könnte eine traditionelle, integrierte CDP-Lösung trotz ihrer Einschränkungen die praktikablere und effizientere Wahl sein.
Status quo herkömmliche CDPs
Interessanterweise passen sich auch etablierte CDP-Anbieter diesem Composable-Trend an. Tools, die traditionell für ihre All-in-One-Lösungen bekannt sind, öffnen sich zunehmend für modularere und flexiblere Ansätze, und immer mehr bieten nun Reverse ETL-Funktionen zur Aktivierung von DWH-Daten an. Beispiele hierfür sind Segment und mParticle, die beide inzwischen Teil der MACH Alliance sind. Diese Allianz setzt sich für moderne Architekturen auf Basis von Microservices, API-first, Cloud-native und Headless-Technologien ein. Mehr zur MACH Alliance gibt es hier.
Diese Entwicklungen zeigen, dass sich der CDP-Markt in Richtung einer offeneren und flexibleren Architektur bewegt. Die Grenzen zwischen traditionellen CDPs und Composable-Lösungen verschwimmen zunehmend. Unternehmen profitieren von:
- größerer Wahlfreiheit bei der Zusammenstellung ihrer Datenlösungen
- verbesserter Interoperabilität zwischen unterschiedlichen Systemen
- Möglichkeiten zur schrittweisen Modernisierung ihrer Daten-Infrastruktur
Fazit
Composable CDPs repräsentieren mehr als nur eine einzelne Technologie – sie verkörpern einen ganzheitlichen Ansatz zur Kundendatenverwaltung. Diese Systeme bilden eine umfassende Architektur, die aus verschiedenen, aufeinander abgestimmten Lösungen besteht – auch Customer Data Infrastructure genannt.
Sind Composable CDPs also eine Revolution oder ein Hype? Die Antwort liegt wohl eher in der Mitte: Sie stellen eine Evolution dar, die durch technologische Fortschritte und sich verändernde Geschäftsanforderungen vorangetrieben wird.
Für Unternehmen, die nach einer flexiblen, skalierbaren und zukunftssicheren Lösung für ihr Datenmanagement suchen, könnten Composable CDPs die Antwort sein. Sie ermöglichen es, die Vorteile moderner Datentechnologien voll auszuschöpfen und gleichzeitig die Komplexität der Datenlandschaft zu bewältigen. Dieser Ansatz birgt jedoch auch Herausforderungen – die notwendige Rechenleistung für komplexe Echtzeitanforderungen ist ebenso zu berücksichtigen wie potentiell intransparente Warehouse-Kosten.
Die Wahl zwischen herkömmlichen und Composable CDPs oder einem hybriden Ansatz hängt letztlich von den spezifischen Anforderungen, technischen Fähigkeiten und strategischen Zielen eines Unternehmens ab. Eine sorgfältige Analyse der eigenen Bedürfnisse und Möglichkeiten ist unerlässlich, um die optimale Lösung zu finden.
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